Sozialer Stress: Wo die klassische Medizin fehl am Platz ist

Kiran Iqbal
Kiran Iqbal

Am 24.02.2024 - 15:33

Menschen mit Angst-Symptomatik bekommen oft Medikamente verschrieben. Was aber, wenn die Angst gar keine ist, sondern sozialer Stress? Dann ist anderes besser!

Arzt mit Anamnesebogen, Patient
Viele Patienten haben mit Stress zu kämpfen, weshalb nicht zwangsläufig eine Angsterkrankung vorliegen muss. - Depositphotos

Viele Menschen, die sich in psychiatrische Behandlung begeben, geben häufig an, mit Ängsten zu kämpfen. Falls eine ernsthafte Erkrankung Grund für die Angst ist, bedarf sie einer passenden Behandlung.

Schaut man genauer hin, deuten aber die Symptome, die beschrieben werden, manchmal eher auf sozialen Stress hin: Schikane durch den Chef, Probleme im Privatleben oder sogar Einsamkeit.

Frau im Dunkeln im Bett
Nicht immer ist es eine Angsstörung: Viele Menschen haben mit sozialem Stress zu kämpfen. - Depositphotos

Hier können beispielsweise psychosoziale Beratungsangebote helfen, nicht aber Medikamente.

Was ist (sozialer) Stress?

Sozialer Stress ist ernst zu nehmen, jedoch muss dieser von einer Angsterkrankung unterschieden werden. Daher ist es wichtig, zu verstehen, was der Ausdruck «Stress» genau bezeichnet.

Laut der American Psychological Association handelt es sich dabei um eine emotionale Reaktion auf externe Faktoren. Das können unter anderem Situationen im Job, in der Schule oder im Privatleben sein.

Wer unter einer Angststörung leidet, erlebt seine Ängste aber auch in ungefährlichen, eigentlich «harmlosen» Situationen. Externe Faktoren muss es dabei also nicht unbedingt geben.

Falsche Diagnose führt zu falscher Behandlung

In der Praxis ist es so, dass stressbezogene Symptome fälschlicherweise als «Angst» diagnostiziert und dafür dann beispielsweise Benzodiazepine verschrieben werden. Denn diese sind primär für die Behandlung von Angststörungen gedacht.

Eine frühere Studie aus dem Jahr 2013 mit dem Titel «When Physicians Counsel About Stress: Results of a National Study» zeigt, dass viele Menschen in der Primärversorgung unter Stresszuständen leiden. Seit der COVID-19-Pandemie haben zudem immer mehr Menschen Stresssymptome gezeigt.

Ärztin mit Patient
Eine korrekte Diagnose hilft, sowohl Menschen mit Angsterkrankung als auch solche mit sozialem Stress besser zu versorgen. - Depositphotos

Umso wichtiger ist es, dass beispielsweise auch Hausarztpraxen eine bessere Versorgung gewährleisten. Stress von Angst zu unterscheiden, damit eine nicht-medikamentöse Behandlung möglich ist, ist daher im medizinischen Umfeld von essenzieller Bedeutung.

«Soziale Rezepte» als Lösungsansatz

Als mögliche Lösung zeichnet sich das Konzept der sogenannten «sozialen Verschreibungen» oder Rezepte («Social Prescribing») ab. Damit sind Massnahmen gemeint, die dazu dienen, offene soziale Bedürfnisse zu versorgen und quasi «zu heilen».

Das bedeutet: Der Arzt verschreibt soziale Kontakte und Aktivitäten – eben «auf Rezept». Denn dass psychosoziale Faktoren Einfluss auf unsere Gesundheit haben, ist heute unumstritten.

Diese Methode könnte auch dazu beitragen, den Arbeitsaufwand von Ärzten und Krankenschwestern zu reduzieren. Gleichzeitig könnten eine personalisierte Betreuung in Familienpraxen gewährleistet werden.

Der Wirksamkeit auf der Spur

Forschungsergebnisse zum Thema sind noch mehrdeutig, und generell bedarf es mehrerer Studien, um das Konzept der «Sozialen Verschreibung» zu untersuchen. Dennoch gibt es schon mehrere und durchaus spannende erste Erkenntnisse zum Thema.

Männer beim Fussball
Ob Einsamkeit oder finanzielle Probleme: «Soziale Rezepte» sollen Betroffenen soziale Kontakte und Aktivitäten «verschreiben» können. - Depositphotos

Beispielsweise gab es eine Studie in Deutschland, zwischen 2020 und 2021, unter dem Titel «Soziales Rezept: Systematischer Review zur Wirksamkeit von präventiven gemeindebasierten psychosozialen Überweisungs-Interventionen».

Die Autoren betonen, dass der Ansatz durchaus hilfreich ist und Wirksamkeit zeigt. Für eine Implementierung im Gesundheitssystem seien jedoch weitere stichhaltige Untersuchungen notwendig, so unter anderem Projektleiter Dr. Felix Holzinger.

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