Dein Gehirn sucht Liebe, nicht Likes

Raphael Fässler
Raphael Fässler

Sucht ist ein missglückter Versuch, Bedürfnisse zu stillen. Wenn du sie entlässt, entlässt sie dich – mit klaren Regeln, Alternativen und Mitmenschen.

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Schreiben kann dabei helfen, die eigenen Süchte zu identifizieren. - Depositphotos

Was ist Sucht? 

Sucht heisst: Ich tue etwas wiederholt, obwohl ich weiss, dass es mir schadet und erlebe einen Verlust der Kontrolle, wenn ich versuche, es zu stoppen. Sucht ist also keine Schwäche – «sie versteht dich nur falsch».

Wer Auslöser erkennt und Alternativen trainiert, gewinnt Kontrolle zurück – Tag für Tag. Der Motor ist nicht der Konsum, sondern die Vorfreude – wenn Auslöser wie Ort, Zeit oder Menschen das Verlangen anzünden. 

Wie erkenne ich mich?

So läuft deine Sucht ab: Auslöser, Verlangen, Verhalten, kurzer Kick, Absturz, Verstärkung des Musters. Weil Dopaminrezeptoren bei Überstimulation herunterreguliert werden, schmeckt der Alltag flacher und der Reiz wirkt übergross.

Gespräche werden dünn, Kreativität schrumpft, und doch versucht die Sucht, ein Bedürfnis zu stillen. Sie ist kein Feind, sondern ein fehlgeleiteter Versuch, Schmerz zu lindern, Freude zu bauen, Verbindung zu spüren. Darum lohnt es sich, genau dort einzuhaken – im Raum zwischen Impuls und Handlung. 

«Jede Sucht ist ein missglückter Versuch, ein echtes Bedürfnis zu stillen. Dahinter steht immer die Sehnsucht nach Liebe, Nähe, Frieden, Freiheit, Lebendigkeit.» 

Wie helfe ich mir?

Beginne mit Metakognition – wechsle in die Vogelperspektive: Benenne ehrlich deine Sucht, was du tust, wann, mit wem und wie es sich anfühlt. Schon das Aussprechen aktiviert den präfrontalen Kortex und stärkt deine Selbstkontrolle.

Schreibe zwei Listen: kurzfristige Geschenke versus langfristige Kosten für Energie, Gesundheit, Beziehungen und deine Selbstachtung. Sag es laut vor einem Menschen deines Vertrauens, denn Transparenz entlastet Scham, die Sucht sonst füttert. 

«Der erste Schritt zur Wahrheit ist der Mut, sie auszusprechen.» Jean-Jacques Rousseau 

Wie helfe ich mir noch? 

Deine Sucht ist kein Fehler – du bist nicht falsch! «Ich finde heraus, was ich in Wahrheit suche.» 

1. Vergebungsarbeit 

2. Bedürfnis: Nach welchem Bedürfnis «suche» ich in der Sucht? Was gibt dir die Sucht? Was nimmt dir die Sucht (Lebenszeit etc.)? 

3. Triggerpunkte davor: Was triggert dich als erstes davor? Bestimmte Gefühle; Umstände; Menschen 

4. Befriedigung während: Was passiert währenddessen? 

5. Selbstachtung danach: Was passiert danach? Was macht die Sucht mit meiner Selbstachtung? Wie verändert sie mich auf Dauer? 

6. Wachstumsmindset: Was, wenn ich das Bedürfnis anders stillen könnte? Wie kann ich die Trigger umgehen? Was, wenn ich lernen würde, die Gefühle auszuhalten? 

 Wie helfe ich mir noch mehr? 

«Du musst deine Sucht entlassen – sie entlässt dich nicht einfach.» Starte ein 7-Tage-Experiment im Safe Mode oder als Full Stop, mit zwei Zeug:innen und einem sichtbaren, handschriftlichen Vertrag.

Lege drei Wenn-Dann-Brücken fest: Wenn der Trigger kommt, dann mache Kniebeugen, kaltes Wasser, Lieblingssong, kurzer Walk oder Anruf. Embodiment schafft Alternativen im Körper und baut neue Bahnen. Gestalte besonders die ersten und letzte 60 Tagesminuten bildschirmfrei, damit dein Cortisol nicht den Tag – die Nacht diktiert.

Du musst nichts beweisen, nur beginnen – achtsam und liebevoll heute. 

***

Raphael Fässler wirkt als Therapeut, Coach und Speaker in seiner eigenen Praxis «flowinyou» für ganzheitliche Therapie in Brunnen SZ. Der ehemalige Leistungssportler (Ski Alpin, Juniorenweltmeister) versteht es, Schicksalsschläge, Beschwerden oder Schmerzen nicht als Problem zu sehen, sondern das Geschenk für Wachstum dahinter wahrzunehmen.

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