Studie: Deshalb lohnt sich Vergebung

Kiran Iqbal
Kiran Iqbal

Vergeben bedeutet nicht vergessen, sondern sich entlasten. Was eine neue Studie nun über die Vorteile der Vergebung aufdeckt, überrascht selbst Skeptiker.

Hände einer jungen Person halten Hand einer älteren Person
Der Akt der Vergebung ist kein leichter, aber häufig ein befreiender. - Depositphotos

Altlasten im Kopf, Kränkungen im Herzen – wer kennt das nicht? Loslassen klingt leicht, fühlt sich aber oft unmöglich an.

Allerdings ist es oft gar nicht notwendig (und auch nicht möglich), komplett zu vergessen. Viel wichtiger: die Vergebung.

Schon die antiken Philosophen beschäftigten sich mit der Frage, wie Menschen innere seelische Wunden heilen können. Seneca sah im Verzeihen eine Form seelischer Stärke, Aristoteles in der Besonnenheit im Umgang mit Gefühlen eine Tugend, und die grossen Religionen kennen Vergebung als menschliche Verhaltensweise zur nachhaltigen Gestaltung von Beziehungen und Gesellschaft.

Erinnerungen behalten ihre Schärfe

Die Forschung zeigt: Vergebung verändert, wie Erlebtes im Innern nachwirkt. So baten die Wissenschaftlerin Gabriela Fernández-Miranda und ihr Forschungsteam Teilnehmende im Rahmen einer Studie, sich prägende Verletzungen der letzten zehn Jahre ins Gedächtnis zu rufen.

Nachdenkliche Frau schaut zur Seite
Menschen, die vergeben, haben einen niedrigeren Blutdruck und ein geringeres Risiko für stressbedingte Erkrankungen, wollen Forschungen herausgefunden haben. - Depositphotos

Die Hälfte sollte sich an einen Moment erinnern, in dem sie Opfer von Fehlverhalten geworden waren, die andere Hälfte an einen Moment, indem sie ein Fehlverhalten verursacht hatten. Weiter jeweils die Hälfte der Opfer- und Tätergruppe sollte sich auf eine Erinnerung konzentrieren, bei der sie dem Täter vergeben hatten beziehungsweise ihnen vergeben wurde – oder eben nicht.

Es zeigte sich, dass sich sowohl Opfer als auch Täter gut an die Situation in der Vergangenheit erinnern konnten; Opfer hatten tendenziell lebhaftere Erinnerungen als Täter.

Den Unterschied aber machte: die Vergebung.

Das eigentliche Geschenk: Emotionale Entlastung

Wer hatte vergeben können, verspürte beim erneuten Hervorholen der Situation deutlich weniger negative Emotionen als jene Menschen, die nicht vergeben hatten, egal ob sie nicht wollten oder nicht konnten. Wem es jedoch gelungen war, alte Kränkungen loszulassen, bei dem war auch die Wut abgeklungen und damit verbundene Traurigkeit oder sogar Scham.

Der Studie zufolge spielt dabei keine Rolle, ob jemand Opfer oder Verursacher eines Fehltritts war. Der Schlüssel zur emotionalen Entlastung, so die Schlussfolgerung, liegt allein in der Vergebung.

Auch interessant: Mit der abnehmenden emotionalen Last sinkt offenbar auch das Bedürfnis, die belastenden Personen zu meiden oder sich zu rächen. Vergebung öffnet also Raum, einander wieder zu begegnen und Beziehungen (neu) zu knüpfen.

... und wie klappt es nun mit der Vergebung?

Vergeben beginnt selten mit einem grossen Entschluss, viel öfter mit einem Eingeständnis: «Ja, das hat mich verletzt!» Wer die eigenen Gefühle klar benennt, schafft Distanz zum Geschehen.

Mann am Wasser
Innere Freiheit entsteht, wenn wir Verletzungen anerkennen, Gefühle verarbeiten und Mitgefühl für uns selbst entwickeln. - Depositphotos

Hilfreich ist, die Situation aus mehreren Blickwinkeln zu betrachten: Was trieb die andere Person an? Welche Rolle spielte man selbst? Forscher betonen auch, dass Vergebung nicht heisst, das verletzende Verhalten gutzuheissen, sondern den eigenen inneren Kampf zu beenden.

Das körperliche Loslassen spielt ebenfalls eine Rolle: Atmung, Bewegung oder Schreiben helfen, aufgestaute Spannung abzubauen. Und manchmal beginnt echte Nachsicht damit, sich selbst dieselbe Milde zu schenken, die man anderen wünscht.

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