Oftmals unerkannt: Wie Traumata zu Essstörungen führen
Gewalterfahrungen oder ein schwerer Unfall: Es gibt viele Auslöser für ein Trauma. Und dieses hat oft weitere Folgen: Bulimie oder Magersucht zum Beispiel.
Die Zahlen sind erschreckend: Laut der Bern Society of Applied Science leidet etwa ein Drittel aller Schweizer an mentalen Störungen, also Traumata. Dabei sind junge Menschen und Frauen besonders betroffen.
Depressionen und Angststörungen treten als Symptome eines Traumas am häufigsten auf. Essstörungen sind ebenfalls oftmals ein Thema, doch werden sie immer noch zu selten als Folge des Traumas diagnostiziert.
Doch die Zahl der Betroffenen steigt stetig – und die Verbindung zwischen beiden Phänomenen wird immer deutlicher.
Ursachen und Symptome eines Traumas
Traumata können ganz unterschiedliche Ursachen haben. Wer ein Verbrechen miterlebt oder als Kind missbraucht oder misshandelt wurde, ist ein potenzielles Opfer. Denn solche Ereignisse hinterlassen tiefe Wunden in der Psyche der betroffenen Menschen.
Auch Kriege oder Naturkatastrophen und sogar komplizierte medizinische Eingriffe können Traumata hervorrufen. Sie greifen unsere Sicherheit auf verschiedenen Ebenen gleichzeitig an und erzeugen ein Gefühl von Chaos und Isolation.
Mit der Zeit können Traumata drastische Veränderungen im Leben der Betroffenen bewirken. Betroffene meiden bestimmte Orte, Dinge oder Menschen, die mit der Ursache des Traumas zusammenhängen – oder zum Beispiel selbstzerstörerische Verhaltensweisen wie Essstörungen entwickeln.
Was sind Essstörungen?
Unter dem Begriff der «Essstörungen» fassen Therapeuten ein ganzes Bündel an Erkrankungen zusammen. Allen Formen gemein ist die Tatsache, dass sich die Gedanken der Betroffenen nur noch ums Essen drehen.
Die beiden bekanntesten Essstörungen sind Magersucht (Anorexie) und Bulimie. Bei einer Anorexie erlebt sich die betroffene Person als zu dick und hungert daher dauerhaft, nimmt Abführmittel oder erbricht sich absichtlich.
Das Erbrechen steht auch bei der Bulimie im Mittelpunkt, zum Hungern gesellen sich gelegentlich jedoch Fress-Brech-Attacken. Binge-Eating schliesslich bezeichnet ein Essverhalten, das durch ständige Fressantacken gekennzeichnet ist; die Betroffenen sind dementsprechend meist übergewichtig.
Der Teufelskreis aus Flucht und Kontrollverlust
Für Menschen mit traumatischen Erfahrungen besteht ein erhöhtes Risiko für Essstörungen gegenüber jenen ohne solche Vorerfahrungen. Insbesondere wenn Kinder oder Jugendliche betroffen sind, prägen diese traumatischen Erlebnisse die Entwicklung ihres Essverhaltens nachhaltig.
So gelesen, funktionieren Essstörungen wie ein verzweifelter Versuch einer Bewältigungsstrategie: Oberflächlich gelesen essen die Betroffenen einfach zu viel oder zu wenig und «kontrollieren» sich dabei auf oft kaum nachvollziehbare Weise. Diese scheinbare Nahrungskontrolle ist jedoch lediglich ein Symptom – für einen Kontrollverlust, der tiefer liegt.
Vielmehr dient Essen (oder dessen Einschränkung) dazu, unliebsame Gefühle zu unterdrücken. Möchte man dieser Ursache auf den Grund kommen, kann man hier mit einer Therapie ansetzen.
Ursachen und Symptome gleichzeitig angehen
Eine Behandlung im therapeutischen Rahmen muss sowohl die Essstörung selbst als auch deren Wurzeln im erlebten Trauma adressieren. Ohne Aufarbeitung des zugrundeliegenden Leids bleiben ernährungs- und verhaltenstechnische Interventionen nämlich weitgehend wirkungslos.
Die Therapie zielt darauf ab, diesen Kreislauf aufzubrechen, indem sie hilft, das zugrunde liegende Trauma anzuerkennen. Danach lassen sich Strategien zum Umgang mit den damit verbundenen Gedankenwelten entwickeln.
Gut zu wissen: Viele Therapeuten für Essstörungen haben mittlerweile Erfahrung in der Behandlung von traumabedingten Störungen. Eine Anlaufstelle ist dabei etwa die Schweizer Gesellschaft für Essstörungen (SGES).