Studien belegen Zusammenhang zwischen Traumata und Essstörungen

Judith Heede
Judith Heede

Am 27.07.2024 - 15:23

Wer ein Trauma erlebt und dieses nie verarbeitet hat, läuft Gefahr, davon eingeholt zu werden. Manchmal passiert dies in Form einer Essstörung.

Frau mit Apfelscheibe auf dem Teller. Magersucht.
Eine Essstörung ist alls andere als Eitelkeit. - Depositphotos

Essstörungen werden von der Gesellschaft nach wie vor häufig und fatalerweise als eitle Modeerscheinung abgetan. «Die will doch nur dünn sein»: So heisst es schnell verächtlich.

Dass durchaus ein schwerwiegendes Trauma hinter einer Magersucht oder Bulimie stecken kann, bleibt leider oft unerkannt.

Frau isst Schlagsahne aus der Dose. Bulimie.
Eine Essstörung kann ein Versuch sein, Kontrolle zu gewinnen. - Depositphotos

Dabei muss es sich nicht zwingend um ein Trauma «mit grossem T» handeln – wie Kriegserlebnisse, sexueller Missbrauch, Gewalt oder eine Naturkatastrophe handeln. Auch ein sogenanntes Tauma «mit kleinem T» kann eine verheerende Wirkung auf die menschliche Psyche haben, wenn der Kontext die direkte Verarbeitung dieser Erfahrung unmöglich macht.

Fast jeder Mensch erlebt irgendwann ein kleines Trauma

Erinnerungen an dramatische Situationen in der Kindheit haben die meisten Menschen. Ob das der peinliche Vorfall in der Schule war, wo man ausgelacht wurde, die Ohrfeige vom Vater vor der besten Freundin oder ständiges Gehänsel vom grossen Bruder.

Je nachdem, in welcher Situation so ein «kleines» Trauma erlebt wird und wie stabil eine Person emotional aufwächst, können sich unterschiedliche Konsequenzen für die psychische Gesundheit ergeben.

Trauriges Mädchen, Eltern streiten sich.
Eine Scheidung kann für Kinder traumatisch sein. - Depositphotos

Beispiel Trennung: Je nach Verfassung und Persönlichkeit gehen Kinder jeweils anders mit diesem einschneidenden Erlebnis um. Gleiches gilt für Ereignisse wie emotionale Vernachlässigung, Mobbing oder Konflikte in der Familie – was manche leicht wegstecken, wird für andere Grund von späterem Suchtverhalten und Essstörungen.

Wann wird aus dem Trauma mit kleinem t ein Problem?

In der Regel verkraften Kinder die meisten kleinen Traumata ohne grössere Schwierigkeiten.

Anders ist die Lage, wenn es zu Hause nicht harmonisch zugeht, Angst oder Narzissmus den Alltag beherrschen. Ein Kind, das noch in der emotionalen Wachstumsphase steckt und den Einflüssen der äusseren Umständen ausgeliefert ist, kann schnell daran erkranken.

Es braucht also keinen Krieg oder Vergewaltigung, damit es zu einem echten Trauma kommt. Dies gilt insbesondere, wenn solche «kleinen» Erlebnisse wiederholt auftreten und/oder in der Kindheit erfahren werden.

Folgen, wenn Traumata unbehandelt bleiben

Werden solche Traumata nicht behandelt, kann dies später schwerwiegende Konsequenzen haben: Essstörungen zum Beispiel. Denn: Traumatische Erlebnisse lösen häufig sogenannte Vermeidungsreaktionen aus.

Wer die Erinnerung an das Erlebte oder konstante Kränkungen verdrängen will, wird dann (meist unbewusst) versuchen, sämtliche Emotionen abzuschalten. Auf diese Weise wird Druck abgebaut bzw. die Kontrolle wiedergewonnen – so zumindest die Idee.

Junge, Schule, Mobbing.
Mobbing kann traumatisch sein. - Depositphotos

Man spricht in diesem Fall von «Numbing». Das kann zum Verlust von Freundschaften und Beziehungen führen sowie nachlassende Arbeitsleistungen, sozialen Rückzug und möglicherweise selbstzerstörerisches Verhalten zur Folge haben.

Je früher das Trauma, desto stärker die Störung

Forschungsergebnisse zeigen alarmierend deutlich den Zusammenhang zwischen erlebtem traumatischen Leid und dem Entwickeln einer Essstörung wie Bulimie nervosa (Ess-Brech-Sucht), Binge-Eating-Störung (Heisshungerattacken) oder Anorexia nervosa (Magersucht).

Je früher ein traumatisches Ereignis stattfindet, desto stärker sind die Auswirkungen. Dies liegt an der besonderen Empfindlichkeit unseres Gehirns während seiner Entwicklung.

Bei Essstörungen geht es meist um was anderes

Interessanterweise geht es bei Essstörungen nicht nur um die Nahrungsaufnahme selbst. Vielmehr sind sie ein Mittel, Kontrolle über einen bestimmten Lebensbereich zu erlangen.

Nach einem traumatischen Ereignis fühlen sich viele Menschen machtlos.

Durch restriktive oder exzessive Essgewohnheiten versuchen sie, dieses Gefühl der Hilflosigkeit zu kompensieren und die Kontrolle über ihr Leben zurückzuerlangen.

PTSD und Essstörungen: Ein verhängnisvoller Teufelskreis

Die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) ist eine spezielle Form von Trauma-Folgestörung. Aktuelle Untersuchungen zeigen eine deutliche Korrelation zwischen PTBS und dem Auftreten von Essstörungen.

Etwa 75 Prozent der Frauen, die wegen einer Essstörung in stationärer Behandlung sind, berichten von traumatischen Erlebnissen. Bei der Hälfte dieser Frauen wurde PTBS diagnostiziert.

Therapieansätze für Betroffene

Eine effektive Behandlung muss sowohl das zugrundeliegende Trauma als auch die daraus resultierende Störung des Essverhaltens adressieren. Hierbei haben sich verschiedene therapeutische Ansätze bewährt.

Mädchen in der Therapie.
Mädchen, die sexuell missbraucht wurden, haben ein höheres Risiko, an einer Essstörung zu erkranken. - Depositphotos

Dialektisch-behaviorale Therapie ermöglicht den Patienten beispielsweise, ihre Emotionen im Zusammenhang mit dem traumatischen Ereignis besser zu verstehen und zu bearbeiten. Auch Prozessgruppen, in denen Betroffene dem «Wie und Warum» ihrer Erkrankung auf den Grund gehen, können hilfreich sein.

Ergänzend dazu bieten künstlerische Therapieformen oder Tiertherapie die Möglichkeit, Emotionen in einer beruhigenden Umgebung auszudrücken und zu verarbeiten.

Nur wer sich seinem Trauma stellt, kann gesund werden

Die Behandlung von Essstörungen ist ein komplexer Prozess, der eine individuelle Herangehensweise erfordert.

Doch eines steht fest: Nur wenn das zugrundeliegende Trauma und die damit verbundenen Gefühle angesprochen werden, kann eine erfolgreiche Behandlung der Essstörung beginnen.

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